Dienstag, 5. Dezember 2006
Die Worte der Linde
Arbeit, was ist Arbeit? Eigentlich eine Tätigkeit die mir das Leben in der Gesellschaft erlauben sollte oder ermöglichen? Etwas zu tun, um eine Existenz zu haben, hm, ich war unzufrieden. Existenz. Kann Existenz denn bedeuten, sich selbst aufzugeben, seiner eigentlichen Bestimmung, nämlich noch etwas zu leben, soweit fern zu sein? Arbeit auf Arbeit, Arbeit zu Hause und immer kommt es darauf an etwas zu schaffen, etwas zu bewegen, für was frage ich mich dann manchmal. So liegt meine Scheune zu meinen Füßen und wartet auf weitere Tätigkeit, um mal wieder, in neumodischer Zeit einen Sinn zu erfüllen. Tja, den gibt es schon. Ich hatte mir zum Ziel gesetzt, zur Jugendweihe meines Sohnes sollte sie zum Feiern vorgerichtet sein, jedenfalls soweit umgebaut, das mal die eine oder andere Familienfeier drin stattfinden kann, da das Haus dafür wirklich zu klein ist und einen richtigen Sinn, außer Abstellmöglichkeiten zu bieten, hat sie eh bei uns nicht.
Es ist somit vielleicht der Anlaß, die Familie wieder einmal auf etwas
gemeinsames einzuschwören, etwas für uns zu schaffen, um wieder einen Schritt
weiter zu kommen. Aber nur für einen Tag, die Jugendweihe, dann vielleicht mal noch hier und da eine kleine Feier, das habe ich gemerkt, ist zu wenig,
auch kein Ansporn, nicht einmal für mich. Also stellte ich die Frage an meinen
„Chef“, wie er sich das überhaupt vorstellt, was machen wir dann damit? Und mein
„Chef“ ging dann mit mir spazieren und erzählte mir eine Geschichte:

"Weißt du", sagte er, "wenn du mal zurückdenkst, nur ein paar Jahre, dann wirst
du feststellen, daß du einmal Träume hattest, die weit über die heutigen hinaus
gingen. Du wolltest kein neu gebautes Haus, du wolltest den Bauernhof, du
wolltest etwas schaffen, was nicht nur Arbeit macht, sondern deinem Leben danach einen
weiteren, anderen Sinn gibt. Und nun stehst du da und fragst dich, welcher
Aufwand für einen Tag und daß es danach eben einfach nur fertig ist? Aber, daß
du mal eine Kunstscheune daraus machen wolltest, daß du eine Begegnungsstätte
gegen die Ignoranz und Volksverdummung daraus machen wolltest, daß Menschen sich
dort treffen sollten, um kreativ zu sein usw., das alles hast du mittlerweile
vergessen. Deine Chance liegt jetzt auf der Hand. Setze es um, erstelle dir eine
Homepage, mache Werbung dafür, suche einfach Menschen die dir gleichen, Menschen
die Träume haben, die nicht in einer Gesellschaft der Ignoranz und Einsamkeit
verzweifeln wollen, sondern nach dem Faden des Lebens greifen möchten. Du bist am
Start mein Freund, nicht deine Zweifel, nicht dein ewiges Gejammer, du bist
gefragt, deine Zukunft ist gefragt." Er sagte es, nahm kurz seinen Hut ab, ließ
mich allein und verschwand in der Dunkelheit, hinter der großen, uralten Linde
und ward nicht mehr gesehen. Ich stand verlassen auf der Dorfstraße, vor meiner
Scheune, deren alter Teil eher an eine Ruine erinnert, als an ein werdendes
Bauwerk. Ich setzte mich an den Wegrand, betrachtete dieses riesige Ungetüm von
Linde und fragte, "warum bist Du eigentlich so häßlich, schwarz, kahl und so
wenig attraktiv im Winter? Gibst Du mir mit deinem Anblick vielleicht ein Stück
meines Mißmutes?"
Die Linde lachte: "Was heißt hier häßlich", gab sie zurück. "Glaubst du, du bist
schöner, mit deiner ewigen Sucherei nach Glück, Zufriedenheit und vielleicht dem
kleinen, schnell vergänglichem Kick? Du machst dich lächerlich mein Freund. Wir
haben alle unseren Platz auf dieser Erde und auch unsere Zeit und, wenn ich das
mal so sagen darf, meine ist länger als deine und ich kann mir meine guten, wie
schlechten Zeiten nicht aussuchen, sie sind vorher bestimmt. Im Winter habe ich
nun mal keine Blätter, da bin ich kahl, stumm und lustlos, aber wenn das Frühjahr
kommt, dann flirte ich mit den Bienen, ja, die kommen sogar zu mir und als Dank
treibe ich meine Blätter aus, Blüten und ich dufte, ja, das ist Leben. Für eine
Zeit, die ich leider nicht bestimmen kann, denn wird es kalt, muß ich mich
wieder einmummeln und mich vor dem kommenden Frost schützen und du sagst zu mir,
ich sei häßlich, du Dummkopf. Dabei hast du es um soviel leichter als ich. Du
kannst dich bewegen, deine kürzere Zeit auf diesem Planeten viel besser
bestimmen als ich, kreativ sein und meinetwegen die Sterne von dem Himmel holen.
Vereinsamst du, suchst du endlos, ohne ein Ziel zu haben und bist an deiner
Situation auch selbst ein ganzes Stück mit Schuld. Kanntest du nicht einmal eine
junge Frau namens Esther, was schrieb die dir in dein Lebensbuch? Ja, genau, das
aus dem Leben zu machen, was du willst, was in deiner Kraft und Macht steckt und
allen Ballast abzuschütteln der hemmt, vor allem aber Menschen genau zu
betrachten, zu bewerten und immer diese mit der Frage zu verknüpfen, "sind sie
eigentlich gut oder eher schlecht für mich"? Du solltest einfach mal wieder
lernen, deine Träume aufzugreifen und sie ihrem Ziel ein Stückchen näher zu
bringen, wetten, das du dann auch an mir im Winter etwas schönes entdecken
kannst? Sie lachte und sagte, aber jetzt muß ich leise sein, in meinem Stamm
sitzen ein paar liebe Fledermäuse, sind meine Freunde und halten Winterschlaf
und die will ich nicht stören, sie würden mir fehlen, würden sie mich im
Frühjahr verlassen. Ich freue mich jedenfalls, wenn du über meine Worte etwas
nachdenken würdest, immerhin sind wir Nachbarn und wollen doch liebe Freunde
bleiben und somit wünsche ich dir jetzt eine Gute Nacht."
So sagte sie und verstummte. Ich hörte schon gar nicht mehr richtig hin, na klar,
die haben ja alle Recht, so war es früher mal. Das war mein Leben, meine
Gedanken, meine Ziele und jetzt frage ich, warum eine Linde häßlich ist? Ich
mußte lächeln, griff in die Tasche und suchte mein Bandmaß. Nun werde ich wohl
die Zukunft aufmessen gehen, dachte ich lächelnd und betrat die Scheune, machte
Licht und sie war gar nicht mehr so baufällig wie noch vor einer Stunde. Es
muffte, so öffnete ich eines der eingesetzten neuen Fenster. Ich sah in den Hof
und der Mischer der da in der Ecke steht rief mich an: "Na, wollen wir
loslegen?" "Na, na", sagte ich, "wir sollten doch erst einmal den Frost
los werden, oder?" "Nun gut, warten wir noch etwas, aber auf meine Hilfe kannst
Du bauen. Vergiß es nicht", so gab er zurück und blieb stumm.
Ich lächelte, mir ging es schlagartig besser und ich begann neu zu planen, was
doch alles so unerfüllt in einem, meinem Leben liegen geblieben ist.

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